Wach auf, wach auf, du deutsches Land (eigentlich: Ein newes Christlichs Lied / Dadurch Deudschland zur Busse vermanet) ist ein lutherisches geistliches Lied, das das im Schlaf der Sünde liegende Deutschland aufrufen und wecken will. Den Text und die Melodie schuf Johann Walter im Jahr 1561. Das ursprünglich 26-strophige Lied ist in einer siebenstrophigen Version im Evangelischen Gesangbuch (Nr. 145) enthalten. Im Mennonitischen Gesangbuch (Nr. 495) ist es unter dem Titel Wach auf, wach auf, du unser Land in einer sechsstrophigen Version enthalten.

Entstehung

Der entschieden an Luthers Seite wirkende Walter, der auch maßgeblich an der Schaffung der Deutschen Messe beteiligt war, nahm die in seinem Torgauer Wirkungsort im Zuge des Leipziger Interims und des Trienter Konzils zutage tretenden Veränderungen in Religion und Politik als kompromisslerisch und rekatholisierend wahr. Damit sah er die Reformation in Gefahr, die Deutschland als eine unverdiente Auszeichnung „durch Luther den Propheten“ zuteilgeworden war (Strophen 2–7). Er wollte dem göttlichen Wort seinen Platz im alltäglichen Leben zurückgeben und zugleich gegen den um sich greifenden Werteverfall auftreten. Dieser manifestiere sich in einer korrupten Wirtschaft, dem Niedergang der Familienmoral, in Ausschweifung, in Zügellosigkeit der Jugend, in Kleiderluxus sowie in der Auflösung der Ständegesellschaft, kurzum einem oberflächlichen Christentum (Strophen 8–18). Als Konsequenz kündet Walter das Gericht an: die endzeitliche verdiente Strafe Gottes (durch „Zeichen“ in den Strophen 19–22). Gleich dem Propheten (Jes 51,17 ) erhebt er angesichts ihres Herannahens einen warnenden Bußruf (Strophe 23). Da dieser die Menschen überforderte, mündet das Lied in einem dreistrophigen Gebetsruf (Strophen 24–26).

Form

Walter kehrt in seinem Werk formal zu den Anfängen des reformatorischen Liedschaffens zurück, das seinerseits im Minnesang wurzelt. So wie in der Stollenstrophe folgt textlich auf den ersten und zweiten Stollen der Abgesang („Lutherstrophe“). Musikalisch neu gestaltet er das alte deutsche Tenorlied, mit dem er 1524 sein Schaffen begann und hier eine vierstimmige Komposition vorlegt. Zwei Terzen werden übereinandergeschichtet und die Oberquint zu Sexte überhöht, damit bringt das reformatorische Liedschaffen den Weck- und Bußruf zum Ausdruck. Aufgelockert folgt der Abgesang. In dieser formalen Rückbewegung mit elementaren Mitteln betont Walter die Absicht der Reformation und ruft zurück zu den Quellen.

Inhalt

Insgesamt beherrschen drei Gegensatzpaare das Lied:

  • Schlaf und Erwachen
  • Finsternis und Licht
  • Lüge und Wahrheit

Das Lied reiht sich als geistliches Tagelied (auch „Wächterlied“) ein in eine Zahl bekannter Lieder dieser Gattung (EG: 114, 147, 241, 244, 446). Während im Tagelied der Renaissance der Wächter den Liebenden den nahenden Tag ankündigt, sagt das geistliche Tagelied dem im Sündenschlaf Verharrenden (schön in Der Morgenstern ist aufgedrungen) in der Regel den Tag des Heils zu. Walter spitzt jedoch seine Aussage zu und zeichnet den Tag des Herrn als Gerichtstag von, wenn nicht globaler, so doch nationaler Dimension.

Wenn auch die Lüge (Strophen 4, 5, 6, 18, 26) durch den Propheten der Reformation ausgetrieben sei, hätten sich die Menschen – „durch Teufels List verblendet“ – ihr wieder zugewandt. Während vergleichbare Wecklieder in der Regel die Seele, das Herz oder eben das einzelne Individuum ansprachen, richtet Walter sein Lied an das gesamte deutsche Land. Dieses sei wieder zurückgefallen in die Finsternis, die Nacht, die Sünde und bedürfe des aufrüttelnden Weckrufes, denn der Tag sei längst angebrochen. Diesen hellen Tag sieht Walter gekommen im Ereignis der Reformation, personifiziert in der Schlüsselgestalt Martin Luthers als „Prophet“ (Strophe 6) bzw. „Gottesmann“ (Strophe 21).

Offensichtlich ist auch der Bezug zu Hans Sachs’ reformatorischer Dichtung Die wittenbergisch Nachtigall (1523), deren Anfang („Wacht auf, es nahet sich dem Tag!“) metrisch zitiert wird. Auch hier fungiert Luther – in Gestalt der die Nacht vertreibenden Nachtigall – als Symbol- und Schlüsselfigur.

Deutschland erscheint auch in der weiteren zeitgenössischen Dichtung durchaus als Adressat vergleichbarer Appelle. So beklagt Johann Lauterbach (1531–1593) in seinem Epigramm „Ad Germanos“ (1562) „An die Deutschen“ die unheilvolle Völlerei […] als Zeichen für den nahenden Tag des Gerichts, und Nathan Chyträus (1543–1598) fragt rhetorisch in Germania degenerans (1579) „Deutschland entartet“: „Veternum aufferet ex oculis quae medicina tuis“ („Welche Medizin könnte die Schläfrigkeit aus deinen Augen entfernen?“).

Zusammengefasst bietet das Lied einen „Zeitspiegel aus dem Blickwinkel eines pessimistischen strengen Lutheraners“.

Geschichte

Das Lied wurde als Einzeldruck herausgegeben und war ursprünglich nicht für den gottesdienstlichen Gebrauch vorgesehen. Es geriet, wie sein Schöpfer nebst seinem Werk, in Vergessenheit. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts findet sich eine fünfstrophige Fassung (Strophen 1, 3, 8, 23, 24) in einigen evangelischen Gesangbüchern, so im Gesangbuch für Sachsen und Anhalt unter der Rubrik „Land und Volk“. Im 1935 von Heinz Weidmann herausgegebenen, den Deutschen Christen nahestehenden Gesangbuch der kommenden Kirche wird unter der Rubrik „Kirche und Volk“ eine vierstrophige Fassung nahezu ohne Bezug zur Buß-Intention aufgeführt. Das Evangelische Kirchengesangbuch brachte eine neunstrophige Fassung (Strophen 1, 2, 3, 7, 8, 18, 22, 23, 24) unter der Rubrik „Für Volk und Vaterland“ mit betontem Deutschland-Bezug unter der Nr. 390 für den 10. Sonntag nach Trinitatis, den Gedenktag der Zerstörung Jerusalems.

Das aktuelle Evangelische Gesangbuch macht die Wendung „deutsches Land“ durch die Unterzeilenkonstruktion „unser“ statt „deutsches“ ersetzbar. Mit seiner siebenstrophigen (Strophen 1, 3, 7, 8, 18, 23, 24) Fassung in der Rubrik Bußtag betont es die Zuordnung zur ursprünglichen Bußtendenz: Dem Weckruf (Strophe 1) mit doppeltem „Wach auf“ und „Bedenk“ folgt die lutherische Rechtfertigungslehre (Strophe 3; EG 2) (Joh 1,29 ; 3,16 ; 14,6 ), die in tätiger Verpflichtung (Strophen 7, 8; EG 3, 4) mündet. Die Klage über die Unterdrückung der Wahrheit (Strophe 18; EG 5) ist nicht nur auf das 8. Gebot – „ Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.“ (2 Mos 20,16 ) – bezogen, sondern auf die Gleichgültigkeit gegen Gottes Wort und die Verwässerung der reformatorischen Lehre (Strophe 23; EG 6). Die angekündigte Strafe bezieht sich wohl auf Lk 21,25 , Offb 3,19–20 . Strophe 24 (EG 7) schließt mit der Bitte um die Hilfe des Heiligen Geistes zu einem Sinneswandel und zur Lebensänderung angesichts des nahen Endgerichts.

Text

(Vollständiges Lied mit Originalstrophen)

Literatur

  • Inge Mager, Joachim Stalmann: 145 – Wach auf, wach auf, du deutsches Land. In: Gerhard Hahn, Jürgen Henkys (Hrsg.): Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Band 4. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2002, ISBN 3-525-50325-3, S. 78–81. 

Weblinks

Einzelnachweise und Anmerkungen


Wach auf, wach auf, du deutsches Land Vier Vorträge zum Altonaer

Wach auf Noten, Liedtext, MIDI, Akkorde

Wach auf, wach auf, du deutsches Land Johann Walter Noten zum Download

Wach auf, du deutsches Land by Johann Gottffried Walther TTBB Sheet